Zurück zur Startseite

 

Warmer Regen, der nackte Haut küsst

Leseprobe aus "Allerlei buntes Strandgut" von Jani Ruge Jüsch

Ein herrlicher Tag, dieser 17. Juli. Kein Wölkchen verdeckt die Sonne und hindert sie an ihrer Heftigkeit. Ein leichter Wind aus Nordost hält den Himmel klar und lässt die Temperaturen nicht aufs Unerträgliche ansteigen. Eigentlich könnte sich Susen frei und leicht fühlen in ihrem hellen, luftigen Kleid, das viel gebräunte Haut offenlässt, nur einen schmalen Slip darunter.
Ein Samtband hält das lange, kastanienbraune Haar. Ihre schönen Beine stehen auf federleichten Sandalen, Riemchen mit dünner Sohle und etwas Hacken. Mehr trägt sie nicht mit sich herum. Jedoch eine andere, unsichtbare Last, die seit Tagen haltlos drückt. Jetzt ist sie entschlossen. Ihre Entscheidung steht fest. Seit heute Morgen, nach fast schlafloser Nacht. Und sie glaubt, dass sie sich so entscheiden müsse.
Sie wird ihn jetzt anrufen. Und dabei denkt sie: Gerade heute, an dem Tag, an welchem vor einem Jahr alles begann. Dieses Datum hat sich ihr eingeprägt, ist tief eingraviert in ihrem Bewusstsein.Vielleicht wird es nach Jahren, wenn sie zurückdenkt an die Zeit mit Tom, abgeklärt oder mit Wehmut, immer in ihrer Erinnerung sein. Das war eine schöne Zeit und eine gute. Die beste, die sie je hatte, und sie spürt, dass es nie wieder so sein wird. Doch sie entscheidet sich für die Vernunft. Damals, vor einem Jahr, als ihr Tom begegnete, gehorchte sie ganz ihrem Herzen, gab sich allein ihren Gefühlen hin. Dabei wäre sie schon beinahe verheiratet gewesen. "Hans-Werner ist doch wirklich eine gute Partie, würdest du dochvernünftig bleiben." Diese Worte ihrer Mutter klangen ihr nochlange in den Ohren.
Doch sollte das alles gewesen sein? Schon jetzt alles geregelt, abgesichert, programmiert für Jahrzehnte. Sie hatte sich anders entschieden, sie wollte nicht schon fertig sein. Und dabei gibt es an Hans-Werner wirklich nichts auszusetzen, jedenfalls nichts, wenn man ihn nur flüchtig kennt. Im Gegenteil, er ist gutaussehend, gebildet, erfolgreich und wahrscheinlich auch so zuverlässig, wie er sich darstellt. Eine solide Existenz, eine sorgenfreie Zukunft verheißend. Und ihre Mutter ist zu verstehen, wenn man bedenkt, wieviel Ungewissheit sie selbst durchleben musste.
Aber irgendetwas vermisste Susen in ihrer Zeit mit Hans-Werner.Etwas, was sie nicht so genau zu fassen, zu verändern wusste. Erst später mit Tom verstand sie manches besser. Jetzt war alles anders. Da war Lockerheit und Unruhe, die Veränderung, Entwicklung hervorbrachte. Aber das war nicht mangelnde Reife oder Sorglosigkeit. Ja, sie haben gelacht, gefeiert, getanzt und manchmal nur so geblödelt, aber auch heiß gestritten zu ernsten Dingen. Oft waren sie mit Freunden zusammen bis tief in die Nacht. Da wurde heftig diskutiert. Sie wurde angeregt, vieles anders zu sehen, über manches neu nachzudenken.
Dagegen - wenn sie auf die Beziehung mit Hans-Werner zurückblickt, sieht sie immer mehr ein Haus mit einer schönen Fassade, dahinter eine große Rechenmaschine. Wie hatte Onkel Bernhard spöttisch gesagt:
"Wenn er bei der Verlobung schon seine Pensionsansprüche hervorhebt, weißt du, welch aufregendes Eheleben dich erwartet. "Jetzt sind ihre Gedanken ganz bei Tom. Sie lässt diesen Tag, diesen Abend, an dem sie sich begegneten, nochmals vorüberziehen: Den ganzen Tag schüttet es heftig. Hoffentlich lässt der Regen etwas nach. Sie will die Buchhandlung bald schließen. Als die Geldkassette vom Bankservice abgeholt wird, verabschiedet sich ihre Kollegin. Jetzt ist sie allein im Laden, hält schon das Schlüsselbund bereit. Doch da steht noch einer zwischen den Regalen, in ein Buch vertieft, scheinbar unbeirrt. Eine etwas wunderliche Erscheinung. Die Kapuze der grünen Regenkutte zurückgeschlagen, lässt einen dichten, schwarzen Haarschopf erkennen. Mit der groben Ledertasche am Riemen über der Schulter, wirkt er ziemlich urwüchsig. Einen Blumenstrauß, besser ein bescheidenes Sträußchen, hält er unterdem Arm geklemmt, reichlich ungewöhnlich.
Sie blickt etwas unmutig auf die Uhr. Nun gut, noch fünf Minuten gibt sie ihm. An pünktliche Ladenschlusszeiten hält sie sich ohnehin nie verbissen. Außerdem regnet es immer noch. Und niemand erwartet sie. Hans-Werner ist seit Wochen Geschichte.
Erst ihr deutlich hörbares Räuspern lässt diesen Typ auf horchen und hastig auf die Uhr blicken. "Entschuldigen Sie ..." Dabei schüttelt er, wie sich selbst rügend, den Kopf. Hält aber immer noch das Buch in der Hand.
Normalerweise hätte sie diesem etwas amüsanten Mann nicht mehr lnteresse geschenkt, als jedem beliebigen Kunden. Ihn vielleicht höflich darauf aufmerksam gemacht, dass eigentlich Ladenschluss ist. Doch nichts drängt. Außerdem geht es um ein teures Buch über das Biotop Regenwald, welches sich nicht so schnell verkauft. Jetzt nicht die übliche Floskel: "Suchen Sie etwas Bestimmtes ...kann ich lhnen helfen?"
Sondern kurz und klar: ,,Möchten Sie dieses Buch kaufen?" Erst zwei, drei Sekunden später löst er sich von seiner Lektüre, richtet den Blick auf und sagt, als wäre dies zweifellos: "Ja . . . natürlich". Sie sieht in ein helles, freundliches Gesicht unter dem Lockenschopf, dazu ein Lächeln, das fast vom krausen Bart verschluckt wird. Nicht unsympathisch. Wie so oft, täuscht der erste, flüchtige Blick. "Eigentlich suchte ich etwas ganz anderes."
Seine Stimme klingt warm und fest, recht gewinnend. Jetzt sieht erwieder auf die Uhr, ist etwas erschreckt.
"Sie müssen schließen?" Mehr eine Frage, als eine Feststellung. Auf ein paar Minuten kommt es mir nicht an", antwortet sie und denkt: Warum sollte ich ihn eilig wegschicken?
"Vielleicht können Sie mir doch noch helfen? Ich suche eine nette kleine Lektüre für eine junge Frau."
Für eine junge Frau! Warum lässt mich das nicht unberührt?"
Vielleicht haben Sie etwas griffbereit . . . Sie kennen sich da besser aus, als ich." Das tut ihr wieder gut, wie er das sagte. ,,Ich müsste schon etwas mehr wissen über diese junge Frau, um lhnen etwas empfehlen zu können.
"Sie ist vierundzwanzig, gerade vierundzwanzig heute . . ." Etwas jünger, als ich, naja, denkt sie. "Also ein Geburtstagsgeschenk." Dabei ein deutlicher Blick auf die Blumen. ,,Ja, genau . . . aber es ist immer schwierig, sie ist sehr anspruchsvoll." Ist das ein Pluspunktfür die andere . . . oder?
Sie ist sehr klug . . . studiert etwas ziemlich Ausgefallenes, Altgriechisch und Latein . . . ist ausgesprochen bewandert in der Literatur und auch der Künste. Humor hat sie außerdem."
Weshalb empfindet sie diese Worte wie kleine Stiche in der Brust? So viele Superlative. Im nächsten Moment schlägt sie sich innerlich an den Kopf - bin ich etwa eifersüchtig, ich dumme Kuh. Den Kerl kennst du doch kaum. Außerdem scheint er in festen Händen zu sein.
"Und besonders hübsch ist sie sicherlich auch." Bei so viel Superlativen kann sie sich diese Bemerkung nicht verkneifen. Er wiegt etwas den Kopf: ,,Nun ja . . . besonders möchte ich nicht sagen, aber sehr sympathisch.
"Solch eine Antwort verwundert sie ein wenig. Aber etwas Genugtuung über ihren kleinen Vorteil, einen wahrscheinlichen, empfindet sie schon.
Inzwischen hatte sie ein paar Büchlein bereitgelegt. Ein Bändchen mit Anekdoten über Musiker scheint ihm besonders zu gefallen. "Zwischen Götterspeise und Ochsenmenuett". Schon der Schutzumschlag entlockt ihm ein Lächeln. Er blätterte, liest eine kurzePassage und lacht.
"Ja, das könnte ihr gefallen, glaube ich . . . vielen Dank. Ich werde ihr von lhnen erzählen und dass Sie mir beim Aussuchen geholfen haben, so ganz auf die Schnelle.
"Nun will er sie nicht länger aufhalten. Aber das Bargeld reicht nicht. Nun gut, sie nimmt auch einen Scheck, schon wegen des teuren Regenwaldbuches. Inzwischen macht sie das Geschenkpäckchen fertig. "Aber, bitte das morgige Datum eintragen, den 18." Er sieht sie ein wenig verwirrt an: "Morgen ist der 18 .... nicht heute?"
"Heute ist der 17. Juli, den ganzen Tag lang."
Dabei behält sie ihr Lächeln. Sie hat's wirklich nicht eilig, ihn loszuwerden.
"Wieder mal bin ich ein Traumtänzer . . . dann hat sie ja erst morgen Geburtstag." Und mit einem leichten Seufzer:
Die letzten Tage waren ziemlich turbulent . . . Vielleicht sollte ich mal ausschlafen." Dabei mischt er Kopfschütteln in sein Lachen. Nur gut, wenn er das selbst so sieht, denkt sie. Findet es nett, wie er die kleine Panne wegsteckt, wie er über sich selbst lachen kann. Hans-Werner wäre sowas sehr peinlich bei seiner Vollkommenheit. Mit dem Scheck überreicht er den Personalausweis, wie eigentlich üblich, doch für manche nicht selbstverständlich.
Ob sie ihn dazu aufgefordert hätte? Natürlich ist alles korrekt. Nochmal ein Blick - sein Name lässt sich gut merken: Thomas Becker. Sie hat es nicht eilig, als sie die Tür hinter ihm schließt. Und ist auch ein wenig traurig. Doch was soll das? Sie wird diesem Mann wahrscheinlich nie wieder begegnen.

Neugierig geworden?

Hier kann die Buchbestellung von "Allerlei buntes Strandgut" angefragt werden:

jp.schmalz@t-online.de

Zurück zur Startseite
© 2024 by Jani Ruge Jüsch